Es ist nichts dabei!

Ich erinnere mich noch genau an diesen Morgen. Es war Herbst, und es war der erste kalte Tag nach einem langen Sommer. Draußen hing Nebel über den Dächern und in Leons Wohnung roch es nach Kaffee und Toast.
Ich saß noch im Bett, eingewickelt in die Decke, als ich hörte, wie er im Bad herumwerkelte. Wasser lief, eine Schublade ging zu, dann wurde es still.
Als er herauskam, stand er da, in einer dunklen Strumpfhose und einer kurzen grauen Jogginghose darüber. Ganz selbstverständlich, als wäre das das Normalste der Welt.
Ich war einen Moment lang irritiert. Nicht, weil es seltsam aussah, sondern weil ich es einfach nicht gewohnt war. So hatte ich noch nie einen Mann gesehen.
In meinem Kopf blitzte kurz die Frage auf, ob ich etwas sagen sollte. Ich entschied mich dagegen. Stattdessen lächelte ich nur, nahm den Kaffee entgegen, den er mir reichte, und redete über etwas völlig anderes.
Und genau so blieb es – normal.
Ein paar Wochen später kamen wir beim Spazierengehen zufällig darauf zurück.
„Trägst du die eigentlich schon lange?“, fragte ich.
„Hm?“
„Die Strumpfhosen.“
Er grinste. „Schon ewig. Als Kind war das normal. Irgendwann dann halt nicht mehr. Keine Ahnung, warum. Irgendwann habe ich wieder damit angefangen. Es ist einfach gemütlich.“
Er sagte das so ruhig und beiläufig, dass es sich direkt richtig anfühlte.
Seitdem gehört das einfach zu ihm.
Zuhause trägt er fast immer eine Strumpfhose mit Shorts, nicht aus irgendeinem bestimmten Grund, sondern einfach, weil es bequem ist. Statt einer langen Jogginghose eben. Wenn er abends auf dem Sofa liegt oder sich morgens im Bad fertigmacht, sieht man meistens dieses Bild: nackte Füße, die dunkle Strumpfhose und darüber eine kurze Hose, die leicht verrutscht, während er sich über das Waschbecken lehnt.
Im Winter zieht er sie unter der Jeans an. In der Übergangszeit läuft er oft so raus: Strumpfhose, Shorts, Hoodie. Beim Einkaufen, beim Spaziergang oder manchmal auch beim Training.
Am Anfang fiel mir auf, dass Leute gelegentlich hinschauten. Jetzt bemerke ich es kaum noch. Leon selbst scheint es nie wirklich zu kümmern.
Ich mag das an ihm, diese Unaufgeregtheit. Kein Stil, kein Statement, kein „Warum“. Nur ein Stück Alltag, das irgendwann selbstverständlich wurde.
Neulich, als wir übers Wochenende zu Freunden gefahren sind, habe ich beim Packen gefragt:
„Nimmst du eine mit?“
„Klar“, meinte er, ohne aufzusehen.
Ich grinste. „Ich wusste es.“
Er zuckte nur mit den Schultern. „Besser, als abends zu frieren.“
Und das war’s dann auch schon. Kein weiteres Wort darüber.
Ich glaube, genau das beschreibt ihn am besten. Er denkt nicht lange nach, er macht einfach. Und irgendwie hat sich das auf mich übertragen. Ich merke, dass ich Dinge seltener hinterfrage, weniger überlege, wie etwas auf andere wirkt.
Manchmal, wenn er morgens in der Küche steht, Strumpfhose, Shorts, T-Shirt, eine Tasse Kaffee in der Hand, Sonnenlicht durchs Fenster, dann wirkt alles so ruhig, so echt.
Und ich denke mir, vielleicht ist das das Geheimnis eines guten Alltags: sich wohlzufühlen, ohne groß drüber zu reden.
Manche Dinge müssen einfach nur sein.